SZ löst Wetteinsatz ein

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21.08.2012 Der Redakteur Jens Lindenmüller verlor eine Wette gegen Lilo Rademacher und musste deshalb Frondienst bei der IG Metall leisten

Aus diesem Grund berichtet Jens Lindenmüller am 18.08.2012 in der Schwäbischen Zeitung wie folgt:

Eigentlich war es klar, dass wir die Holländer nach Hause schicken. Aber ich musste ja unbedingt zum vierten Mal binnen weniger Wochen darauf tippen, dass Arjen Robben tatsächlich mal ein Spiel gewinnt - gegen Deutschland, im Gruppenspiel der Europameisterschaft. Bravo, super Prognose.

Bravo, super Prognose. Meine Gegnerin beim EM-Tippspiel der SZ, Lilo Rademacher, wusste es natürlich besser - und hat sogar das Ergebnis (2:1) korrekt vorhergesagt. Zur Strafe für die verlorene Wette muss ich der Zweiten Bevollmächtigten der IG Metall Friedrichshafen-Oberschwaben nun zwei Stunden für niedere Dienste zur Verfügung stehen. Sehen wir es positiv: Fürs Ausbeuten von Arbeitnehmern ist die Gewerkschaft ja eher nicht bekannt.

Zur Begrüßung gibt es erst mal Kaffee und eine Führung durchs generalsanierte Haus mit Gewerkschaftssekretär Christian Velsink. Den Gerümpelkeller lassen wir aus. "Eigentlich hatten wir überlegt, Sie dort was machen zu lassen. Aber das wollten wir Ihnen dann doch nicht antun", sagt Velsink. Puh, Glück gehabt. Bei der Gewerkschaft werden offenbar selbst Sklaven auf Zeit gut behandelt. Statt im düsteren Kerker äh Keller darf ich nun im Kopierzimmer Platz nehmen, wo das Laminiergerät schon bereit steht. Denn das ist für die nächsten eineinhalb Stunden mein Job: eine Art Merkblatt laminieren, beziehungsweise 100 Stück von diesen Merkblättern, die für die rund 1500 Mitarbeiter der Tettnanger Firma ifm electronic bestimmt sind.

Die haben sich über ihren Betriebsrat und unterstützt von der IG Metall in einem echten Verhandlungsmarathon, der sich über ein Jahr und sechs Sitzungen vor der betriebsverfassungsrechtlichen Einigungsstelle (eine Art Schiedsgericht) erstreckte, ein neues Entlohnungssystem erkämpft, das an das tarifliche Entgelt-Rahmenabkommen ERA angelehnt ist. An ERA selbst muss ifm sich nicht halten, da das Unternehmen schon vor neun Jahren aus dem Arbeitgeberverband ausgetreten ist. Der Merkzettel ist sozusagen die Zusammenfassung des Regelwerks, anhand dessen die Arbeitnehmer ihren eigenen Job charakterisieren und überprüfen können, in welche Entgeltgruppe sie einzuordnen sind.

Die Arbeit, die ich hier verrichten soll, ist also schon irgendwie wichtig, auch wenn sie ein bisschen stupide ist. Und ganz schön fitzelig. Bis die Blätter die exakt richtige Position zwischen den zwei Klarsichtfolien haben, das ist bisweilen schon eine ziemliche Fummelei. Aber Lamentieren bringt mich jetzt auch nicht weiter. Für die ersten Exemplare geht Lilo Rademacher mir höchstpersönlich zur Hand und fachsimpelt ein bisschen über Fußball. Der Jogi Löw, sagt sie, sei schon ein Guter. Aber bei der EM sei der Druck einfach zu groß gewesen. Wie er nach dem Ausscheiden in den Medien zum Teil runtergemacht worden sei, findet sie bedauerlich. "Aber das ist typisch deutsch: am einen Tag himmelhoch jauchzend, am anderen zu Tode betrübt."

Vom Laminieren hat Lilo Rademacher deutlich weniger Ahnung als von Fußball und Arbeitnehmerrechten. Ganz ehrlich, eine große Hilfe ist sie nicht. Fast jedes Merkblatt muss ich nochmal neu justieren, bevor es reif ist für das Laminiergerät. "Für solche Arbeiten bin ich zu ungeschickt", sagt sie - und berichtet von ihrem jeweils zweiwöchigen Probearbeiten bei den Häfler Großbetrieben: "Bei MTU habe ich damals bei der Montage eine Schraube falsch reingedreht. Danach musste der ganze Motor wieder auseinander genommen werden." Der Respekt vor der Arbeit, die ihre Gewerkschaftsklientel tagtäglich zu verrichten haben, ist durch solche Erfahrungen zweifellos gewachsen.

Meine Tätigkeit hingegen, das ist für gewöhnlich eher etwas für Schülerpraktikanten und Ferienjobber, die auch bei der IG Metall immer wieder mal vorbeischauen - und dafür gar nicht so schlecht bezahlt werden: Pro Woche sind es laut Rademacher immerhin 100 Euro - bei einer Arbeitszeit von sechs Stunden pro Tag. Deutlich mehr, nämlich 1200 Euro im Monat, bekommen Stipendiaten der Hans-Böckler-Stiftung. Die verrichten während ihrer Praktika allerdings auch deutlich anspruchsvollere Arbeiten wie ich im Augenblick.

Bereits nach einer halben Stunde sind alle 100 Merkblätter vorbereitet fürs Laminieren - nur das Gerät hält mit dem Tempo des "Laminators" nicht Schritt: Zwischen Merkblatt vorne rein und Merkblatt hinten raus vergehen jedes Mal gefühlte zehn Minuten. Öde ist das. Als Sekretärin Heidi Obermeier mich pünktlich zum 12-Uhr-Glockenschlag erlöst, liegt noch immer locker die Hälfte der vorbereiteten Merkblätter vor dem Laminiergerät. "Den Rest übernehme ich", sagt sie. Und ich sag" dazu nicht Nein. Zum Abschied gibt es sogar noch Lohn: Lilo Rademacher überreicht mir die Biografie über den ehemaligen Vorsitzenden der IG Metall Franz Steinkühler, der im Mai seinen 75. Geburtstag gefeiert hat. Titel: "Einer von uns."

(Erschienen: 19.08.2012 12:00)

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Wette

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Letzte Änderung: 21.08.2012